Dissertation   Wie kann man komplexe Themen wie Globalisierung oder europäische Integration vermitteln?

 

 

(» Ragnar Müller)

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 Grundprobleme der Vermittlung von Globalisierung (IV):  

 Legenden

"Globalisierung ist sicher das am meisten gebrauchte - missbrauchte - und am seltensten definierte, wahrscheinlich missverständlichste, nebulöseste und politisch wirkungsvollste (Schlag- und Streit-) Wort der letzten, aber auch der kommenden Jahre", so fasst Ulrich Beck die Problematik zusammen. [1]

Die Wucht, mit der das Thema bzw. die Rede von "Globalisierung" Eingang in alle erdenklichen Debatten gefunden hat (
» siehe Dynamik), die Unbestimmtheit des Begriffs, besonders die an anderer Stelle dargestellte rhetorische Dimension - verstanden als Instrumentalisierung des Begriffs für unterschiedlichste Interessen -, bereitet der Legendenbildung einen denkbar fruchtbaren Nährboden.

 Die schon sprichwörtlichen "Sachzwänge"

Unpopuläre politische Maßnahmen, beispielsweise Kürzungen im Sozialwesen, werden mit dem Verweis auf angebliche "Sachzwänge" im weltweiten "Standortwettbewerb" des "globalen Zeitalters" begründet. Das Gleiche gilt für die Ankündigung von Stellenabbau seitens von Unternehmen. Diese Beispiele brauchen hier weder ergänzt noch vertieft, geschweige denn bewertet [2] werden - festzuhalten bleibt, dass sich bei der Zeitungsleserin bzw. dem Fernsehzuschauer der Eindruck verfestigt, Globalisierung sei eine bedeutende externe Macht, die uns zu unliebsamen Anpassungsmaßnahmen zwingt.

Probleme der Vermittlung von Globalisierung:

» Einleitung

» Nationalstaats-Fixierung
» Distanz
» Dynamik
» Legenden
» Komplexität
» fehlende Referenzebene


Probleme der EU-Vermittlung:

» Einleitung

» Nationalstaats-Fixierung
» Distanz
» Dynamik
» Legenden
» Komplexität
» fehlende Referenzebene
 


 "Eine andere Welt ist möglich"

Genau diesen Argumentationsmustern begegnen die Globalisierungskritiker - am prominentesten inzwischen das Netzwerk Attac [3] - mit der Parole "Eine andere Welt ist möglich". Auch sie schaffen einen verzerrten Globalisierungsbegriff, der medial mittlerweile sogar die Oberhand zu gewinnen scheint (
» siehe Dynamik). Neben sachlicher und berechtigter Kritik - etwa an Entscheidungsprozessen im Rahmen der WTO-Verhandlungsrunden - sind dabei auch obskure "Verschwörungstheorien" zu beobachten. Letztere werden natürlich von den Medien besonders begierig aufgegriffen.

Hier entsteht beim Zeitungsleser bzw. bei der Fernsehzuschauerin der Eindruck, "hinter der Globalisierung" stünden dunkle Mächte, die abgeschottet in Glaspalästen über das Schicksal der Welt entscheiden und die Demokratie zu Grabe tragen. Sowohl dieser wie auch der oben festgehaltene Eindruck des Mediennutzers enthält natürlich das berühmte "Körnchen Wahrheit", beide sind aber einseitig, und vor allem resultiert aus beiden ein negatives "Image" der Globalisierung. [4]

 Parallelen zum Thema EU

Die Parallelen zur EU, wie sie im analogen Abschnitt zu "Legenden" als Problem der EU-Vermittlung im Rahmen dieser Arbeit aufgezeigt wurden, sind deutlich. Wie "die EU" muss auch "Globalisierung" als Sündenbock für unliebsame Entscheidungen herhalten. Wie im Falle der EU muss aber auch hier in Rechnung gestellt werden, dass sich der Verweis auf "die Globalisierung" ebenso als bewusste politische Strategie, als "Ausdruck einer gezielten Politik der Neuen Staatsräson deuten lässt". [5]

Wie im Falle der EU muss schließlich darauf verwiesen werden, dass diese Legenden in engem Zusammenhang mit den anderen Kategorien an Vermittlungsproblemen gesehen werden müssen, die sich wechselseitig verstärken. Zu denken wäre hier inbesondere an

  • die Unbestimmtheit, Ambivalenz und Umstrittenheit von Globalisierung als dem Grundproblem bei der Vermittlung (» Einleitung: Vermittlungsprobleme);

  • die Komplexität der Thematik, ihre Multidimensionalität und Multikausalität, verbunden mit paradoxen Aspekten (» Komplexität);

  • die fehlenden Begriffe zur Beschreibung "transnationaler" Phänomene (» Nationalstaats-Fixierung) und vor allem die fehlende Referenzebene für Einordnung und Vergleich (» fehlende Referenzebene).

 Folgeprobleme für die Vermittlung von Globalisierung

Das Vorwissen zum medial allgegenwärtigen Thema Globalisierung ist (notwendigerweise) durchsetzt von Legenden und Vorurteilen. Das gilt natürlich auch für die Lehrenden. Hierin liegt ein potenzielles Problem, wenn Transformationsprozesse sachlich behandelt werden sollen (inhaltliche Dimension), diese Tatsache lässt sich aber auch als Chance begreifen: Einen fundierten Überblick über die Globalisierungsdebatte seitens des Lehrenden vorausgesetzt, kann die Behandlung von Globalisierung in media res - bei der interessegeleiteten Instrumentalisierung des Begriffs (rhetorische Dimension) - ansetzen: "[Globalization] means precisely whatever the user says it means." [6]

Beide Dimensionen können das didaktische Prinzip der Exemplarität erfüllen, allerdings auf unterschiedliche Weise. Je nachdem, welche Dimension man wählt, stößt man auf einen anderen politischen Kern der Thematik. Neben den hohen Anforderungen an den Lehrenden liegt das Problem wesentlich darin, dass man dem Thema wohl nur gerecht werden kann, wenn man beide Dimensionen einbezieht. Angesichts der Komplexität und Verschwommenheit der Thematik dürfte sich das in der Praxis besonders schwierig darstellen.

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Anmerkungen:

[1]

ULRICH BECK, Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus - Antworten auf Globalisierung, Frankfurt/Main 1997, S. 42.
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[2]

Nach und nach werden empirisch fundierte Studien vorgelegt, die gängige Kausalketten entkräften oder relativieren. Für die wohlfahrtsstaatliche Dimension in Deutschland vgl. etwa: Elmar Rieger/Stephan Leibfried, Grundlagen der Globalisierung. Perspektiven des Wohlfahrtsstaates, Frankfurt/Main 2001.
Sehr lehrreiche Ansätze einer systematisch wissenschaftlichen Analyse dieser Thematik bietet folgender Aufsatz:
COLIN HAY/BEN ROSAMOND, Globalization, European integration and the discursive construction of economic imperatives; in: Journal of European Public Policy 9, 2/2002, S. 147-167.
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[3]

Die deutsche Sektion von Attac hat 2002 eine Erklärung entworfen, die das Globalisierungsverständnis und die Ziele der Bewegung verdeutlicht. Der Text findet sich im Internet unter https://www.attac-netzwerk.de/erklaerung/erklaerung.php
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[4]

Die ausgeprägte rhetorische Dimension hat auch dazu geführt, "dass der Begriff der Globalisierung nach anfänglichen Berührungsängsten und anschließender überschwänglicher Umarmung von den Sozialwissenschaften mittlerweile schon fast wieder distanziert behandelt wird" (JÖRG DÜRRSCHMIDT, Globalisierung, Bielefeld 2002, S. 6). CLAUS LEGGEWIE beginnt das erste Kapitel seines Buches "Die Globalisierung und ihre Gegner" mit dem Diktum: "Globalisierung ist zu einem unbrauchbaren Schlagwort verkommen" (München 2003, S. 16). Diese Einschätzung findet sich zwischenzeitlich häufig in der wissenschaftlichen Literatur, im angelsächsischen Sprachraum spricht man "ernüchtert und mit einem gewissen Zynismus von 'globaloney', dem sterilen und leeren Geschwafel über Globalisierung" (JÖRG DÜRRSCHMIDT, Globalisierung, Bielefeld 2002, S. 6).
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[5]

Klaus Dieter Wolf, Die Neue Staatsräson - Zwischenstaatliche Kooperation als Demokratieproblem in der Weltgesellschaft, Baden-Baden 2000, S. 61.
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[6]

R. J. BARNET/J. CAVANAGH, Global Dreams. Imperial Corporations and the New World Order, New York 1994, S. 14.
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