Dissertation   Wie kann man komplexe Themen wie Globalisierung oder europäische Integration vermitteln?

 

 

(» Ragnar Müller)

 » Home   » Feedback   » Suche   » Site Map     » Gliederung der Arbeit   » Ergebnisse der Arbeit

 

 



  Vermittlungs-
  probleme
:

» Globalisierung
» EU


  Forschungs-
  stand
:

» Politikdidaktik
» Globalisierung
» EU


  Policy-
  Didaktik
:

» Ziele
» Einordnung
» Beispiel


  Literatur und
  Links
:

» Politikdidaktik

» Globalisierung
» EU
 


 Globalisierung und Politikdidaktik (II)  

 Solidarisches Lernen

(Diskussion vorhandener didaktischer Ansätze der Vermittlung von Globalisierung entlang des von Butterwegge und Hentges herausgegebenen Sammelbands "Politische Bildung und Globalisierung", Opladen 2002)

Neben dem schon seit einigen Jahren vorhandenen Konzept des Globalen Lernens (» Globales Lernen) bringt der hier exemplarisch diskutierte Sammelband einen weiteren Ansatz in die Debatte um politikdidaktische Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung ein, der mit dem Titel "ökologisches und solidarisches Lernen" versehen wurde.

 Ausgangspunkt: Kritik am Neoliberalismus

Dieser Ansatz geht von einem Globalisierungsbegriff aus, wie er für die - etwas irreführend so genannten - "Globalisierungsgegner" als typisch bezeichnet werden kann: "In letzter Konsequenz bedeutet Globalisierung bzw. neoliberale Modernisierung [sic!], dass die Konkurrenz zwischen den Wirtschaftssubjekten universalisiert und die ganze Welt den Marktgesetzen unterworfen, wenn nicht selbst zum Markt wird." [1]


Dabei geht es nicht darum, in Anlehnung an namhafte wissenschaftliche Globalisierungskritiker das, was als "Globalisierung" bezeichnet wird, als Mythos zu entlarven. Vielmehr gilt: "Nicht die Globalisierung selbst, sondern der verbreitete Glaube, ihre dominante Erscheinungsform, die neoliberale Modernisierung, mehre den Wohlstand aller Wirtschaftsstandorte (Städte, Regionen, Nationen) und Bürger/innen ist ein Mythos, welcher von den bestehenden Herrschaftsverhältnissen, sozialer Ungleichheit und Machtmissbrauch ablenkt." [2]

 Globalisierungsbegriff

"Globalisierung" wird also verstanden als Verschleierungsbegriff in Diensten der "zutiefst inhumanen Ideologie des Neoliberalismus" bzw. des "neoliberalen Wettbewerbswahns". [3] Sie dient als Rechtfertigungsformel für das neoliberale Projekt einer Standortpolitik, die "eine Umverteilung von Reichtum, Macht und Lebenschancen" bezwecke. "Was als 'Modernisierung' klassifiziert wird, ist teils nur die Rücknahme demokratischer und sozialer Reformen bzw. Regulierungsmaßnahmen, mit denen die Staaten das Kapital einer gewissen Kontrolle unterwarfen. Es geht um die Ökonomisierung (fast) aller Gesellschaftsbereiche, deren Restrukturierung nach dem privatkapitalistischen Marktmodell und die Generalisierung seiner betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien und Konkurrenzmechanismen. Man kann von einem 'Wirtschaftstotalitarismus' sprechen ..." [4]

Ohne diese Bestandsaufnahme vertiefen zu wollen, sollte noch hinzugefügt werden, dass in diesem Verständnis von Globalisierung natürlich mannigfaltige Folgeprobleme zu gewärtigen sind, die von Gefahren für die Demokratie über Wohlstandschauvinismus bis hin zu "Standortnationalismus" [5] als Nährboden für Rechtsextremismus reichen.

 Aufgaben der politischen Bildung

Vor dem Hintergrund des eben Geschilderten kann nicht überraschen, dass es als Aufgabe der politischen Bildung gesehen wird, diesen Tendenzen entgegenzuwirken: "Die politische Bildung könnte dazu beitragen, diese Verkürzung des Begriffs 'Globalisierung' auf eine Modernisierung der Gesellschaft, wie sie das kritisierte Konzept des 'Standortwettbewerbs' impliziert, durch Entwicklung demokratischer und sozialer Alternativen aufzubrechen und die neoliberale Hegemonie schrittweise zu überwinden." [6]

 Probleme des Ansatzes

Dem von Butterwegge skizzierten Ansatz des "solidarischen Lernens" kann professionelle poltische Bildung nicht folgen, da er weit davon entfernt ist, ergebnisoffen zu sein, und damit gegen zentrale didaktische Prinzipien, wie sie sich in der deutschen politikdidaktischen Debatte herausgebildet haben (
» didaktische Prinzipien), verstößt. Schon die Analyse ist einseitig und wird der kontroversen (nicht nur politik-) wissenschaftlichen Diskussion nicht gerecht. Was die Zielsetzungen betrifft, führt der Autor selbst aus:

"Um die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und wohlfahrtsstaatlichen Weichenstellungen, die unter dem Stichwort 'Globalisierung' vorgenommen werden, beeinflussen zu können, muss die politische Bildung mit kritischem Blick für die Realität darüber informieren und aufklären, sich einmischen und Partei für die Opfer einer neoliberalen Modernisierung ergreifen, auch wenn ihr das von interessierter Seite - wie schon so oft in der Vergangenheit - den Vorwurf mangelnder Objektivität, Sachlichkeit und Wissenschaftlichkeit einträgt." [7]

Genau die von Butterwegge antizipierten Vorwürfe sowie einige mehr lassen sich in der Tat gegen seinen Ansatz ins Feld führen. "Solidarisches Lernen" vermeint nämlich nicht nur die richtigen Fragen zu kennen, sondern verfügt auch über die "richtigen Antworten", wie die folgende Passage verrät: "Eignet sich der Markt tatsächlich als gesamtgesellschaftlicher Regelungsmechanismus, obwohl er auf seinem ureigenen Terrain, der Volkswirtschaft, ausweislich einer sich auch nach dem Regierungswechsel 1998 verfestigenden Massenarbeitslosigkeit, gegenwärtig kläglich versagt? Darauf die richtigen Antworten zu geben heißt, den Neoliberalismus mitsamt seinem Konzept der 'Standortsicherung', aber auch den sich modernisierenden Rechtsextremismus, Nationalismus und Rassismus erfolgreich zu bekämpfen." [8]

 Folgerungen für diese Arbeit

Wie auch im analogen Abschnitt zur fachdidaktischen Diskussion hinsichtlich der EU (
» EU und Politikdidaktik) ergibt sich nach Betrachtung des Ansatzes von Butterwegge, dass bei beiden komplexen und kontroversen Großthemen - EU und Globalisierung - besonders auf die grundlegenden didaktischen Prinzipien Überwältigungsverbot und Kontroversität zu achten ist, die an anderer Stelle im Rahmen dieser Arbeit vorgestellt werden (» didaktische Prinzipien).

Beide Themen scheinen in besonderem Maße zu einer einseitigen Ausrichtung zu verführen. Ging es dort um die Problematik einer "Erziehung zu Europa", die sich - wie wünschenswert sie auch immer sein mag - den Vorwurf mangelnder Professionalität gefallen lassen muss, so geht es hier um die - sicherlich ebenfalls mit den besten Absichten verbundene - Parteinahme zugunsten der "Opfer der Globalisierung".

Daneben lassen sich dem Ansatz des "solidarischen Lernens" aber auch wichtige Anregungen für die Belange dieser Arbeit - die Skizzierung von Vermittlungsproblemen und Lösungsansätzen am Beispiel der Themen EU und Globalisierung - entnehmen. Die Tatsache beispielsweise, dass es sich bei der Globalisierung um ein hochaktuelles, allgegenwärtiges und hochgradig kontroverses [9] Thema handelt, stellt offensichtlich besondere Anforderungen an politische Bildung und Bildnerinnen (
» Vermittlungsprobleme beim Thema Globalisierung).

Außerdem weist der Ansatz auf einen zentralen Aspekt der Thematik hin, nämlich auf die ideologische oder rhetorische Dimension, die beim Thema Globalisierung in beispielloser Weise ausgeprägt ist. Es reicht für die politische Bildungsarbeit nicht, über Globalisierung zu sprechen, man muss auch und gerade darüber sprechen, wie über Globalisierung gesprochen wird, wie der Verweis auf - oder die Drohung mit - Globalisierung instrumentalisiert wird. [10]

[Seitenanfang]
 


Anmerkungen:

[1]

CHRISTOPH BUTTERWEGGE, "Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 75.
Eine Auswahl wichtiger globalisierungskritischer Literatur findet sich im Rahmen des Literaturverzeichnisses (» Literatur zum Thema "Globalisierungskritik")
[zurück zum Text]
 

[2]

CHRISTOPH BUTTERWEGGE, "Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 77.
[zurück zum Text]
 

[3]

CHRISTOPH BUTTERWEGGE, "Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 78.
[zurück zum Text]
 

[4]

CHRISTOPH BUTTERWEGGE, "Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 82.
[zurück zum Text]
 

[5]

CHRISTOPH BUTTERWEGGE, "Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 88.
[zurück zum Text]
 

[6]

CHRISTOPH BUTTERWEGGE, "Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 93-94.
[zurück zum Text]
 

[7]

CHRISTOPH BUTTERWEGGE, "Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 102.
[zurück zum Text]
 

[8]

CHRISTOPH BUTTERWEGGE, "Globalisierung, Standortsicherung und Sozialstaat" als Thema der politischen Bildung; in: ders./Gudrun Hentges, (Hg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 100 [Hervorhebung durch den Verfasser].
[zurück zum Text]
 

[9]

"Kaum ein anderer Begriff der internationalen Beziehungen hat derart viele hitzige Debatten ausgelöst, Erklärungsansätze hervorgerufen und Missverständnisse erzeugt." (JOHANNES VARWICK, Globalisierung; in: Wichard Woyke (Hg.), Handwörterbuch Internationale Politik, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1998, S. 111).
[zurück zum Text]
 

[10]

Die Instrumentalisierung von "Globalisierung" - und damit die ideologisch-rhetorische Dimension der Thematik - wird in zahlreichen Veröffentlichungen analysiert. Beispielhaft sei folgende Publikation genannt, bei der dieser Aspekt im Zentrum der Argumentation steht:
ULRICH BECK, Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus - Antworten auf Globalisierung, Frankfurt/Main 1997. Dort ist auf Seite 42 der vielzitierte Satz zu lesen: "Globalisierung ist sicher das am meisten gebrauchte - missbrauchte - und am seltensten definierte, wahrscheinlich missverständlichste, nebulöseste und politisch wirkungsvollste (Schlag- und Streit-)Wort der letzten, aber auch der kommenden Jahre."
Zugunsten einer größeren begrifflichen Klarheit unterscheidet Beck "Globalisierung" (Prozesse der Verflechtung und Entgrenzung) und "Globalismus" (der neoliberalen Globalisierungsvariante zugrundeliegende Ideologie). Diese hilfreiche Unterscheidung wurde von anderen deutschsprachigen Autoren übernommen, z.B.:
CLAUS LEGGEWIE, Die Globalisierung und ihre Gegner, München 2003.
JÖRG DÜRRSCHMIDT, Globalisierung, Bielefeld 2002.
[zurück zum Text]

[Seitenanfang]
 

   

[Home]     [Feedback]     [Suche]     [Site Map]           [Vermittlungsprobleme]     [Forschungsstand]     [Policy-Didaktik]     [Literatur]