Dissertation   Wie kann man komplexe Themen wie Globalisierung oder europäische Integration vermitteln?

 

 

(» Ragnar Müller)

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 Vermittlungsprobleme beim Thema Globalisierung

Einer definitiv nicht mehr zu überschauenden Flut an Veröffentlichungen zum Thema Globalisierung steht ein Mangel an Publikationen zur Umsetzung dieser schwierigen Thematik in der politischen Bildung gegenüber (» siehe Globalisierung und Politikdidaktik).

Wie auch beim anderen hier zur Debatte stehenden Großthema - der Europäischen Union (
» Vermittlungsprobleme hinsichtlich der EU) - scheint die Komplexität des kaum eingrenzbaren Themenkreises nachhaltig abschreckend zu wirken.

Lehrbücher behelfen sich damit, unter Berufung auf den Ansatz Globales Lernen (
» zur Diskussion dieses Ansatzes) ein buntes Sammelsurium an Themen zwischen zwei Buchdeckel zu packen, wobei nicht ersichtlich wird, ob und inwiefern es eigentlich um Globalisierung geht. [1]

 Keine begriffliche Klarheit

Dieses Defizit verweist auf das grundlegende Problem beim Umgang mit Globalisierung: Es kann sein, dass jeder von etwas anderem spricht, aber alle von Globalisierung. Während die europäische Integration - das andere hier untersuchte Thema - ein zwar komplexes, aber prinzipiell eingrenzbares Themengebiet bildet, gilt das für "Globalisierung" ganz und gar nicht. Der Begriff entzieht sich (bisher) jedem eindeutigen Definitionsversuch [2].

Probleme der Vermittlung von Globalisierung:

» Einleitung

» Nationalstaats-Fixierung
» Distanz
» Dynamik
» Legenden
» Komplexität
» fehlende Referenzebene


Probleme der EU-Vermittlung:

» Einleitung

» Nationalstaats-Fixierung
» Distanz
» Dynamik
» Legenden
» Komplexität
» fehlende Referenzebene
 

Das mag daran liegen, dass es einer Quadratur des Kreises gleichkäme, Entgrenzung definieren, also eingrenzen zu wollen. Vielleicht ist dennoch der Versuch hilfreich, zwei Meta-Argumentationsstränge zu unterscheiden, um wenigstens eine kleine Schneise in das Dickicht zu schlagen:

  • Globalisierung wird zum einen als Sammelbegriff zur Bezeichnung verschiedener Transformationsprozesse verwendet, die z.T. schon seit einigen Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten ablaufen, sich aber Ende des 20. Jahrhunderts entscheidend intensiviert haben. Dieser Argumentationsstrang stellt Globalisierung in eine Reihe mit anderen soziologischen "Großprozessen" wie Urbanisierung oder Industrialisierung, macht Globalisierung teilweise sogar zum Nachfolgebegriff für Modernisierung. In jedem Fall handelt es sich um einen inhaltlichen Argumentationsstrang, in dessen Rahmen nun - ähnlich wie das beim Begriff Modernisierung der Fall war und ist - debattiert und empirisch geforscht werden kann, ob oder ab wann es Sinn mache, von Globalisierung zu sprechen, welche Indikatoren Verwendung finden sollten [3], wie weit die Prozesse in den unterschiedlichen Weltregionen fortgeschritten seien [4] und vieles mehr.

  • Globalisierung wird zum anderen als Schlagwort im Dienste ganz unterschiedlicher Interessen instrumentalisiert. Dieser rhetorische Argumentationsstrang bestimmt die öffentliche Wahrnehmung und zeichnet wesentlich für die Begriffsverwirrung verantwortlich. Dass die Geistes- und Sozialwissenschaften damit konfrontiert sind, dass ihre Konzepte Eingang in die gesellschaftliche Debatte finden und dies wiederum Rückwirkungen auf die wissenschaftliche Debatte nach sich zieht, ist natürlich alles andere als neu oder bedauerlich. Ausmaß und Intensität dieses Effekts waren und sind im Fall der Globalisierung aber wohl einzigartig.

 Globalisierung polarisiert

Eng verbunden mit der begrifflichen Unklarheit ist das weitere Problem, dass Globalisierung gleich in mehrfacher Hinsicht polarisierend wirkt. Unter anderem folgende Gegensatzpaare können beobachtet werden:

  • Globalisierungskritiker und -befürworter; [5]

  • ein enges (wirtschaftliches) [6] und ein breites (multidimensionales) [7] Begriffsverständnis;

  • Globalisierung als Tatsache oder als "Mythos" [8];

  • Globalisierung als altes oder neues Phänomen [9];

  • Globalisierung als "Naturgewalt" oder als durch bewusste (politische) Entscheidungen herbeigeführter und gewollter Prozess. [10]

Welcher Variante man zuneigt, entscheidet wesentlich darüber, ob und welchen Handlungsbedarf man sieht und wie man den Begriff verwendet [11]. In beispielloser Weise eignet sich das Schlagwort dafür, im Sinne unterschiedlicher und widersprüchlicher Interessen instrumentalisiert zu werden.

Ohne diese Diskussion an dieser Stelle vertiefen zu wollen, bleibt festzuhalten, dass die Allgegenwart in der öffentlichen Debatte, die entsprechenden Vorkenntnisse und Vorurteile sowie die Unklarheit und Umstrittenheit den problematischen Hintergrund für den Umgang mit diesem zentralen Thema in der politischen Bildung bilden.

Auf den weiteren Seiten dieses Abschnitts wird versucht, einige Grundprobleme, die die Vermittlung von Globalisierung erschweren, entlang von sechs Kategorien darzustellen. Die Darstellung wurde dabei bewusst analog zur Darstellung der Probleme bei der EU-Vermittlung aufgebaut (» Vermittlungsprobleme hinsichtlich der EU).

Die sechs unterschiedenen Problemkategorien hängen eng zusammen und beeinflussen sich wechselseitig, wie das Schaubild zu veranschaulichen versucht. Sie verbinden sich mit folgenden Stichworten:
  • Nationalstaats-Fixierung: Die traditionellen, auf den Nationalstaat als dominierender politischer Organisationsform und Analyseeinheit zugeschnittenen Kategorien und Methoden der Sozialwissenschaften greifen in einer "entgrenzten" Welt nur noch bedingt ... [... mehr]
     

  • Distanz: Ist es im Fall der EU die mangelnde Medienberichterstattung, die ein Vermittlungsproblem darstellt (» Distanz als Problem bei der EU-Vermittlung), ist beim Thema Globalisierung eine mediale Allgegenwart zu verzeichnen, allerdings ebenfalls entlang nationaler Wahrnehmungsmuster. Globalisierung ist - wie die EU - ein unzugängliches Thema ... [... mehr]
     

  • Dynamik: Was Globalisierung ist, bildet den Gegenstand hitziger Debatten. Nach einer Dominanz neoliberaler Argumentationsmuster in der Anfangsphase der intensiven Globalisierungsdebatte in den 1990er Jahren, scheint sich die öffentliche Sympathie und damit die Beweislast umgekehrt zu haben ... [... mehr]
     

  • Legenden: Um Globalisierung ranken sich zählebige Legenden und Vorurteile, die wesentlich daraus resultieren, dass der Begriff für verschiedene Interessen instrumentalisiert wurde und wird. Welche der vielbeschworenen - weil oftmals bequemen - "Zwänge der Globalisierung" gibt es wirklich? ... [... mehr]
     

  • Komplexität: Einerseits liest man jeden Tag in unterschiedlichsten Zusammenhängen davon in der Zeitung, andererseits wird wieder behauptet, es gebe sie gar nicht, die Globalisierung. Alternative Begriffe wie Regionalisierung, Triadisierung oder Glokalisierung werden in die Debatte eingebracht ... [... mehr]
     

  • Fehlende Referenzebene: Was soll eigentlich behandelt werden, wenn Globalisierung auf der Tagesordnung bzw. dem Lehrplan steht? Soll es um reale Prozesse gehen (inhaltlicher Argumentationsstrang) - und was wäre dann eine tragfähige Referenzebene? - oder soll es um die politische Auseinandersetzung gehen (rhetorischer Argumentationsstrang)? Lassen sich diese beiden Meta-Dimensionen überhaupt trennen ... [... mehr]

Feedback: Für diesen wie für alle anderen Teile der Arbeit gilt, dass ich mich über Kritik und Anregungen freue und im Sinne einer Diskussion und Weiterentwicklung der hier präsentierten Thesen darauf angewiesen bin. Dafür steht ein Formular zur Verfügung: » zum Kontaktformular

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Anmerkungen:

[1]

Ein Beispiel von vielen mag genügen, um diesen Sachverhalt zu illustrieren. Das in der Reihe "wissen 3000" erschienene Buch "Globalisierung" von THOMAS SCHROEDTER (Hamburg 2002) bietet historische Impressionen von unterschiedlicher Qualität auf je 2-5 Seiten zu verschiedenen Themen rund um die Geschichte der Welt(wirtschaft). Behandelt werden Themen wie "Die Anfänge der Weltwirtschaft", Sklaverei, Dampfschifffahrt, Erfindung der Telegraphie, Anfänge der Eisenbahn, Kolonialismus, Erster Weltkrieg, "Das Bretton-Woods-System", "Die Vereinten Nationen", Verschuldung der Dritten Welt, "Der internationale Finanzmarkt", "Transnationale Konzerne", "Kulturelle Globalisierung" etc. Diese Teile stehen unverbunden nebeneinander, Globalisierung wird eigentlich gar nicht thematisiert, obwohl alle Themen "irgendwie" natürlich schon etwas mit "Globalisierung" zu tun haben.
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[2]

Dieser Sachverhalt wird in unzähligen Publikationen zur Globalisierung festgehalten, betont und beklagt. Eine nüchterne Variante bietet Johannes Varwick: "Zwar bedarf ein solch vielschichtiges Phänomen wie Globalisierung einer multikausal orientierten Analyse, die Debatte leidet aber an der überzogenen Breite der Definitionsversuche, die eine Verständigung erschwert, an dem mangelnden Konsens über Gegenstandsbereich und Ursachen, und erst recht den Folgen und geeigneten Begleitstrategien der Globalisierung. Eine einheitliche Definition von Globalisierung muss schon daran scheitern, dass sie - je nachdem welche Perspektive gewählt wird - unterschiedlich wahrgenommen und gedeutet werden kann und werden muss" (JOHANNES VARWICK, Globalisierung; in: Wichard Woyke (Hg.), Handwörterbuch Internationale Politik, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1998, S. 111).
Eine besonders instruktive Zusammenfassung der begrifflichen Dimension bieten Jürgen Osterhammel/Niels P. Petersson im einleitenden Kapitel zu ihrem sehr lesenswerten Band "Geschichte der Globalisierung" (München 2003), das den bezeichnenden Titel trägt: "'Globalisierung': Umkreisung eines Begriffs" (S. 7-15).
Die wesentlichen Aspekte und Kontroversen der Globalisierungsdebatte werden z.B. von Ulrich Menzel zusammengefasst, der schreibt: "Während die einen Globalisierung als Herausforderung, als Chance, als Allheilmittel zur Lösung der gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Probleme preisen, ist sie für die anderen eine Falle, eine Bedrohung, ein wahres Schreckgespenst, das gerade als Ursache für diese Probleme verantwortlich gemacht wird. Dahinter steht die grundlegende Kontroverse, ob Globalisierung ein quasi natürlicher, also endogener Prozess ist als Folge technologischen und ökonomischen Wandels hin zum immer schneller, immer besser und immer mehr, oder ob sie exogen verursacht wird, also die Folge politischer Entscheidungen ist. Je nach Sichtweise sind Deregulierung und Privatisierung deshalb die logische Konsequenz von Globalisierung, um deren Chancen nutzen zu können, oder Deregulierung, Privatisierung und Steuersenkung haben die krisenhaften Folgen der Globalisierung geradezu ausgelöst, zumindest aber forciert, und können deshalb gerade keine probate Reaktion auf Globalisierung sein" (ULRICH MENZEL, Die postwestfälische Konstellation, das Elend der Nationen und das Kreuz von Globalisierung und Fragmentierung; in: ders. (Hg.), Vom Ewigen Frieden und vom Wohlstand der Nationen, Festschrift für Dieter Senghaas, Frankfurt/Main, S. 163).

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[3]

Die wohl ambitioniertesten Versuche im deutschsprachigen Raum, Indikatoren für Globalisierung zu finden und eine empirische Bestandsaufnahme durchzuführen, bieten folgende Bände:
MATHIAS ALBERT u.a., Die Neue Weltwirtschaft. Entstofflichung und Entgrenzung der Ökonomie, Frankfurt/Main 1999.
Marianne Beisheim u.a., Im Zeitalter der Globalisierung? Thesen und Daten zur gesellschaftlichen und politischen Denationalisierung, Baden-Baden 1999.

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[4]

So wird zum Beispiel von Czempiel Regionalisierung - und nicht Globalisierung - als entscheidendes Kennzeichen der Epoche ausgemacht: "Der Begriff der Globalisierung deutet richtig aber unscharf an, dass sich die Position des Staates zum Ausgang des zwanzigsten Jahrhunderts in doppelter Weise geändert hat. Sie wird von den Prozessen der Interdependenz überwölbt, die es einem Staat nur dann ermöglicht, seine Ziele zu erreichen, wenn andere Staaten kooperieren. Der Staat wird (...) sehr eng mit seinen Nachbarn verklammert. Dieser Prozess findet vornehmlich regional statt. Regionalisierung ist daher das Kennzeichen der Epoche, nicht Globalisierung. Nur wenige Prozesse haben eine weltumspannende Reichweite: die mögliche atomare Zerstörung, die Verschmutzung der Luft und die des Wassers" (Ernst-Otto Czempiel, Regionalisierung und Globalisierung – Herausforderungen der deutschen Außenpolitik; in: Friedrich-Ebert-Stiftung, Akademie der politischen Bildung (Hg.), Globale Politik für eine globale Welt – Das Vermächtnis von Willy Brandt, Bonn 1999, S. 30-31).
Wieder andere Beiträge verweisen darauf, dass Globalisierung insofern ein irreführender Begriff sei, als sich die meisten relevanten Prozesse (Handel, Direktinvestitionen etc.) im wesentlichen innerhalb und zwischen den Ländern der Triade abspielen. Statt von Globalisierung müsse man demnach von Triadisierung sprechen. Besonders pointiert in diese Richtung argumentiert die Gruppe von Lissabon in ihrem Bericht "Grenzen des Wettbewerbs", der nach wie vor einen wichtigen Referenzpunkt der Debatte bildet: "Die heutige Globalisierung ist eine Rumpfglobalisierung. 'Triadisierung' ist daher eine zutreffendere Bezeichnung der gegenwärtigen Lage. Triadisierung heißt, dass die technologischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Integrationsprozesse zwischen den drei entwickeltsten Regionen der Welt (Japan und die neuindustrialisierten Länder Süd- und Südostasiens, Westeuropa und Nordamerika) durchgängiger, intensiver und bedeutender sind als die Integration zwischen diesen drei Regionen und den weniger entwickelten Ländern oder zwischen den benachteiligten Ländern untereinander. Triadisierung findet auch in den Köpfen der Menschen statt. Japaner, Nordamerikaner und Westeuropäer gehen davon aus, dass die Welt, die zählt, ihre eigene Welt ist. Hier sind die kulturelle und wissenschaftliche Vorherrschaft, die technische Überlegenheit, die militärische Hegemonie, der wirtschaftliche Wohlstand zu finden, und damit auch die Fähigkeit zur Steuerung und Gestaltung der Weltwirtschaft und Weltgesellschaft. Das Phänomen der Triadisierung zeigt sich zudem im geographischen Muster der strategischen Unternehmensallianzen. Von den zwischen 1980 und 1989 weltweit von Firmen eingegangenen 4200 strategischen Kooperationsabkommen wurden 92 Prozent zwischen Unternehmen aus Japan, Westeuropa und Nordamerika abgeschlossen" (Gruppe von Lissabon, Grenzen des Wettbewerbs. Die Globalisierung der Wirtschaft und die Zukunft der Menschheit, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1997, S. 108 ff.)
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[5]

ULF HANNERZ bringt diesen Aspekt (humorvoll) auf den Punkt: "One almost expects any mention of globalization now to be accompanied by either booing or cheering" (Transnational Connections. Culture, People, Places, London 1998, S. 5).
Eine Auswahl der wichtigsten deutschsprachigen Titel zur Globalisierungskritik findet sich im Literaturverzeichnis (
» Literatur zur Globalisierungskritik)
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[6]

Paradigmatisch etwa Lester C. Thurow: "Der technologische Fortschritt und die Veränderungen im Verkehrs- und Kommunikationswesen münden in eine Welt, in der alles überall auf der Welt hergestellt und auch überall verkauft werden kann. Die Nationalökonomie wird es nicht mehr geben. Dadurch entsteht ein tiefer Graben zwischen global tätigen Firmen, die die ganze Welt im Auge behalten, und den Regierungen von Nationalstaaten, die das Wohl ihrer 'Wähler' im Auge behalten müssen. Länder werden zersplittern. Regionale Handelsblöcke werden wachsen. Die Verflechtung der Weltwirtschaft wird fortschreiten" (Lester C. Thurow, Die Zukunft des Kapitalismus, Düsseldorf/München 1996, S. 22).
Stellvertretend für viele weitere Beiträge sei auf das Buch des ehemaligen leitenden Ökonoms der Weltbank und heutigen Chefkolumnisten der Financial Times verwiesen:
MARTIN WOLF, Why Globalization Works, Yale University Press 2004.
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[7]

Paradigmatisch und viel zitiert: ULRICH BECK, Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus - Antworten auf Globalisierung, Frankfurt/Main 1997. Auf den Seiten 39-42 unterscheidet Beck anhand eingängiger Beispiele folgende fünf Dimensionen von Globalisierung: informatorische, ökologische, ökonomische und kulturelle Globalisierung sowie Globalisierung von Arbeitskooperation bzw. Produktion.
Keohane und Nye benennen folgende vier Dimensionen: "Economic globalism involves long-distance flows of goods, services, and capital, as well as the information and perceptions that accompany market exchange. It also involves the organization of the processes that are linked to these flows, such as the organization of low-wage production in Asia for the U.S. and European markets. Military globalism refers to long-distance networks of interdependence in which force, and the threat or promise of force, are employed. Environmental globalism refers to the long-distance transport of materials in the atmosphere or oceans (...). The depletion of the stratospheric ozone layer as a result of ozone-depleting chemicals is an example of environmental globalism, as is the spread of the AIDS virus (...). Some environmental globalism may be entirely natural, but much of the recent change has been induced by human activity. Social and cultural globalism involves the movement of ideas, information, images, and people (who, of course, carry ideas and information with them). (...) At its most profound level, social globalism affects the consciousness of individuals and their attitudes toward culture, politics, and personal identity. (...) In the current era, as the growth of the Internet reduces costs and globalizes communications, the flow of ideas is increasingly independent of other forms of globalization" (Robert O. Keohane/Joseph S. Nye, Globalization: What‘s New? What‘s Not? (And So What?); in: Foreign Policy, Spring 2000, S. 118).

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[8]

Als Standardwerk der (wissenschaftlichen) Globalisierungsskepsis gilt nach wie vor das primär wirtschaftlich argumentierende Buch von Paul Hirst/Grahame Thompson, Globalization in Question. The International Economy and the Possibilities of Governance, Cambridge 1996, 2. Auflage 1999.
Zwischenzeitlich wird kaum mehr bestritten, dass die Transformationsprozesse, die mit dem Begriff Globalisierung bezeichnet werden, tatsächlich ablaufen. Die Rede von einem "Mythos" im Zusammenhang mit Globalisierung findet sich aber dennoch häufig. Dabei geht es dann darum, bestimmte Kausalzusammenhänge und sogenannte "Sachzwänge" als Mythen zu entlarven.

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[9]

Zu den häufig gestellten Fragen zählt, wann denn die Globalisierung begonnen habe. Während manche auf der Grundlage eines sehr allgemeinen Globalisierungsbegriffs die Anfänge bei Adam und Eva verorten und die folgende Wirtschaftsgeschichte der Menschheit als fortschreitenden Globalisierungsprozess interpretieren (z.B. Wolfgang Schäuble, Und sie bewegt sich doch, Berlin 1998), geben andere Autoren u.a. die folgenden Daten an:

Datum

Begründung

1492

Entdeckung Amerikas (Beginn der Neuzeit und des Kolonialismus)

1869

Suezkanal und Union Pacific Eisenbahn werden fertiggestellt

1969

Das ARPA-Netzwerk arbeitet (Vorläufer des Internet)

1969

Mondlandung (in der Folge Verbreitung von Fotos vom Planeten Erde)

1975

Erster Weltwirtschaftsgipfel in Rambouillet

1989

Fall der Berliner Mauer (Ende des Ost-West-Konflikts)

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[10]

Dem Neoliberalismus wird vorgeworfen, er mystifiziere Globalisierung zu einer externen Notwendigkeit, während Globalisierung tatsächlich das Ergebnis bewusster politischer Entscheidungen insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sei, namentlich der Zollsenkungsrunden im Rahmen des GATT (später WTO) sowie der Politik von Weltbank und IWF.
Zu den prominentesten Vertretern der Kritik am Neoliberalismus zählt der kürzlich verstorbene französische Soziologe Pierre Bourdieu: "Der Neoliberalismus zeigt sich uns (...) im Schein der Unausweichlichkeit. Es ist eine ganze Ansammlung von Grundannahmen, die sich hier als ganz selbstverständlich durchgesetzt haben: man lässt ein größtmögliches Wachstum von Produktivität und Wettbewerb als letztes und einziges Ziel menschlichen Handelns gelten; oder glaubt, dass man sich den Kräften der Ökonomie nicht entziehen könne (...). Und alles kommt in einer schönfärberischen Sprache daher, die uns förmlich überschwemmt, die wir aufsaugen, wenn wir die Zeitung aufschlagen, wenn wir Radio hören. In Frankreich zum Beispiel sagt man nicht mehr Unternehmer, sondern 'lebendige Kräfte der Nation'; man spricht nicht mehr von Stellenabbau, sondern von 'Verschlankung' (...). Wenn ein Unternehmen 2000 Leute entlässt, wird man von einem 'mutigen Sozialplan von Alcatel' sprechen. Es gibt ein ganzes Spiel mit den Konnotationen und Assoziationen von Wörtern wie Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Deregulierung, das glauben macht, die neoliberale Botschaft sei eine der allgemeinen Befreiung" (Pierre Bourdieu, Gegenfeuer. Wortmeldungen im Dienste des Widerstands gegen die neoliberale Invasion, Konstanz 1998, S. 40-41).
Ein weiteres Beispiel verdeutlicht die Subtilität, die dem Neoliberalismus vorgehalten wird: "Wie alle Ideologien strebt auch die neoliberale danach, ihre Zumutungen der Diskussion und kritischen Bewertung zu entziehen, indem sie sie als überpersönliche und überzeitliche Notwendigkeiten darstellt. Sie versucht dies auf zwei Wegen zu erreichen: einmal, indem sie die kapitalistischen Marktgesetze in den Rang unveränderbarer Naturgesetze erhebt, und zum anderen, indem sie das vom modernen Kapitalismus dem Menschen abgeforderte Verhalten als schon immer in der 'menschlichen Natur' angelegt darstellt. Der Kapitalismus ist nach dieser Auffassung also zugleich ein der bewussten Gestaltung durch den Menschen enthobener objektiver Strukturzusammenhang, dem sich die Menschen zu unterwerfen haben, und Ausdruck der menschlichen Natur selbst, zugleich unerbittliches Schicksal und Inbegriff menschlicher Selbstentfaltung" (Johano Strasser, Leben oder Überleben. Wider die Zurichtung des Menschen zu einem Element des Marktes, Zürich 2001, S. 30-31).
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[11]

Ein diesbezüglich lehrreiches Beispiel bildet der Ansatz "solidarisches Lernen", der an anderer Stelle im Rahmen dieser Arbeit vorgestellt und kritisiert wird (» zum entsprechenden Abschnitt). Dort wird von einem einseitigen Verständnis von Globalisierung als neoliberalem Kampfbegriff ausgegangen und auf dieser Grundlage ein Konzept für die politische Bildung entwickelt, das entsprechend einseitig ausfällt.
Die im Rahmen dieser Arbeit so genannte "rhetorische Dimension" und ihre Folgen werden in folgendem Aufsatz systematisch in den Blick genommen: COLIN HAY/BEN ROSAMOND, Globalization, European integration and the discursive construction of economic imperatives; in: Journal of European Public Policy 9, 2/2002, S. 147-167.
Eine kürzlich vorgelegte Arbeit zum Thema "Demokratie, Staat und Gesellschaft in der Globalisierung" geht sogar so weit, die inhaltliche Dimension komplett zurückzustellen und das Thema Globalisierung als Diskursanalyse zu behandeln. Ein Überblicksschaubild zu dieser Diskursanalyse findet sich auf der Seite Dynamik (HANNE WEISENSEE, Demokratie, Staat und Gesellschaft in der Globalisierung, Baden-Baden 2005).
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