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Grundprobleme
der Vermittlung von Globalisierung (II):
Distanz
Fusionen multinationaler Konzerne, die gerade in der deutschen
Globalisierungsdiskussion vorherrschende Standortdebatte,
hochabstrakte Themen wie die Erosion des Nationalstaats - viele
Aspekte dessen, was in den Themenbereich Globalisierung fällt,
sind (scheinbar) beträchlich weit entfernt von Schülerinnnen,
Teilnehmern oder Studierenden. Das gilt teilweise geographisch
(ähnlich wie im Fall der EU, »
siehe den
entsprechenden Abschnitt), v.a. aber kognitiv. Was bedeutet
das?
Die kognitive Distanz, die Unzugänglichkeit der Thematik
resultiert wesentlich daraus, dass es - zumindest auf den ersten
Blick und ab einem bestimmten Abstraktionsniveau - nicht um
Entscheidungen geht, die bestimmten Akteuren zugerechnet werden
können. [1]
Um nur ein
Beispiel zu nennen: Es lässt sich kein(e) Akteur(sgruppe)
identifizieren, der (die) dafür sorgt, dass die Nationalstaaten
erodieren. Dafür sind nach herrschender Meinung die technologische
Entwicklung (Atombombe, Internet etc.) oder der Markt oder einfach der
Lauf der Dinge verantwortlich. Teilweise wird man sich angesichts
solch unpersönlicher Kausalketten fragen müssen, ob man nicht der
"neoliberalen Verschleierungstaktik" aufsitzt, wie sie an anderer
Stelle im Rahmen dieser Arbeit skizziert wird (»
zur
entsprechenden Anmerkung). |
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Aber selbst dann bleibt das Problem der Verantwortlichkeit ungelöst,
denn auch die profiliertesten Vertreter der Globalisierungskritik -
besser: der Kritik am Neoliberalismus - bleiben eine Antwort auf die
Frage schuldig, wer - aus welcher Interessenlage heraus und zu was für
einem Zweck - die diagnostizierten Verwerfungen herbeiführt.
[2]
Diesem Problem der kognitiven Distanz leisten natürlich andere der
aufgezeigten Vermittlungsprobleme Vorschub. Zu denken ist hier vor
allem an die begriffliche Unklarheit als dem Grundproblem der
Vermittlung von Globalisierung (»
siehe entsprechender Abschnitt),
an die fehlenden Kategorien zur Analyse der Phänomene (»
Nationalstaats-Fixierung)
und an die Komplexität der Thematik auf mehreren Ebenen (»
Komplexität). Das macht
nachdrücklich deutlich, wie eng die hier aus analytischen Gründen
unterschiedenen Kategorien zusammenhängen. |
Folgeprobleme für die Vermittlung von Globalisierung
Leicht abgewandelt liesse sich das Zitat ("Die EU ist als politischer
Raum für die Bürger weitgehend unsichtbar und unzugänglich."
[3]), das im analogen Abschnitt zur
Distanz als
Problem der EU-Vermittlung Verwendung findet, auch auf die Probleme
der Vermittlung von Globalisierung übertragen. Wo findet man den
politischen Raum, wenn Entwicklungen wie das Ende des Kalten Krieges
Prozesse verursachen, die mit Globalisierung bezeichnet werden?
Wichtige
didaktische Prinzipien wie Schüler- bzw. Teilnehmerorientierung,
Interessen- oder Handlungsorientierung sind angesichts der realen oder
kognitiven Distanz zum
abstrakten Thema Globalisierung schwer umzusetzen, hilfreiche Kategorien wie
Betroffenheit (die ja tatsächlich besteht) können nicht vorausgesetzt,
sondern müssen erst mühsam vermittelt werden. Ohne intensive Arbeit an
Begriff und v.a. Rhetorik der Globalisierung wird man gar nicht zum
(politischen) Kern der Thematik vorstoßen. [4]
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Anmerkungen:
[1] |
Besonders drastisch kommt das im
jüngsten Werk ZYGMUNT BAUMANS zum Ausdruck, das den "menschlichen
Abfall", der vom ökonomischen Fortschritt produziert wird, in
den Mittelpunkt einer (anderen) Geschichte der Moderne stellt.
Dort heißt es: "Niemand gibt die Befehle, niemand trägt die
Verantwortung, wie der verblüffte, verzweifelte Kleinbauer in
John Steinbecks Roman Früchte des Zorns (1939) zu seiner
großen Bestürzung einsehen musste: Kampfbereit hat er sich mit
dem Gewehr in der Hand zur Verteidigung seiner
mittlerweile 'wirtschaftlich unrentablen' Farm aufgestellt, doch
da ist kein einziger böswilliger Verursacher all seiner Qualen
und seiner Verzweiflung, auf den er schießen könnte. Die
Produktion menschlichen Abfalls ist nur eine Nebenhandlung des
wirtschaftlichen Fortschritts und trägt alle Kennzeichen eines
unpersönlichen, rein technischen Geschehens. Die Hauptakteure
des Dramas heißen 'Terms of Trade', 'Markterfordernisse', 'Konkurrenzdruck',
'Produktivitäts-' oder 'Effizienz-'Erfordernisse, allesamt
Begriffe, die jegliche Verbindung mit Absichten, Willen,
Entscheidungen und Handlungen wirklicher Menschen mit Namen und
Adresse entweder kaschieren oder explizit verneinen" (Zygmunt
Bauman, Verworfenes Leben. Die Ausgegrenzten der Moderne,
Hamburg 2005, oder Bundeszentrale für politische Bildung
Schriftenreihe Band 524, Bonn 2005, S. 58-59).
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[2] |
Zu einem beliebten Feindbild der
Globalisierungskritik sind die Bretton-Woods-Organisationen
avanciert, namentlich der IWF und die GATT-Nachfolgeorganisation
WTO. Dabei handelt es sich - an diesen schlichten Sachverhalt sei
erinnert - um Internationale Organisationen, deren Mitglieder
Staaten sind. Wie es im Fall des EU-Mehrebenensystems zu
undifferenziert ist, davon zu sprechen, dass "die EU" etwas
entschieden habe (obwohl es im Fall der EU gerechtfertigt sein
kann, da die EU mittlerweile weit mehr ist als eine "bloße"
Internationale Organisation), macht auch die Aussage, der IWF habe
etwas entschieden, wenig Sinn.
Beispielhaft für zahlreiche Publikationen, die Fehler und
Versäumnisse etwa der IWF-Programme aufzeigen und teilweise heftig
kritisieren, ohne aber deutlich machen zu können, wer mit welchen
Interessen und Zielen "dahintersteckt", seien folgende
einflussreiche Titel genannt:
Noam Chomsky,
Profit Over People. Neoliberalismus und globale Weltordnung,
München 2002.
Michel Chossudovsky,
Global brutal. Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg,
Frankfurt/Main 2002.
Etwas differenzierter argumentiert folgender Titel:
Joseph Stiglitz,
Die Schatten der Globalisierung, München 2002.
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[3] |
Beate
Kohler-Koch, Einleitung. Effizienz und Demokratie: Probleme
des Regierens in entgrenzten Räumen; in: dies. (Hg.), Regieren in
entgrenzten Räumen, PVS-Sonderheft 29/98, Opladen 1998, S. 19.
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[4] |
Eigene Versuche der didaktischen
Umsetzung der Globalisierungsthematik versuchen, dem Rechnung zu
tragen, und enthalten umfangreiche Teile zum Begriff und zur
öffentlichen Debatte um Globalisierung:
RAGNAR MÜLLER, Globalisierung unterrichten. Foliensatz, Arbeitsblätter und
Internetaufgaben mit Lösungen und Kommentaren,
Gesellschaft Agora, Stuttgart 2003.
RAGNAR MÜLLER,
Arbeitsblätter Politik: Globalisierung, Stuttgart 2003.
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