Aufgaben und Ziele politischer
Bildung
Ziel politischer Bildung ist die mündige Bürgerin bzw. der mündige
Bürger. Dass dies in praktisch jeder Publikation zum Thema zu lesen
ist, darf nicht über die inhaltliche Unbestimmtheit des Begriffs
hinwegtäuschen, die sich zum Beispiel dann schmerzhaft bemerkbar macht, wenn
es darum geht, ihn in andere Sprachen zu übersetzen.
[1] Das folgende Schaubild listet weitere, häufig genannte Ziele
politischer Bildung auf, welche die Kurzformel vom "mündigen Bürger"
mit Leben füllen.
Grundlegend gilt: "Politik
und Bildung und dementsprechend auch politische Bildung sind Formen
intentionalen Handelns; sie orientieren sich an Zielen bzw. Werten ...
Der moderne Staat kann die Frage nicht beantworten, welches das
höchste Gut in einem pluralistischen Werteensemble sei. Wir können uns
zwar darauf einigen, dass er schlimme Übel verhindern soll, und als
Kultur- und Sozialstaat muss er seine Tätigkeit auch positiv an Werten
orientieren. Aber wir können Politik nicht verstehen als 'Verwirklichung'
oberster Werte, sondern als Regelung von Konflikten und als Ringen um
die jeweils bessere Ordnung im Blick auf allgemein anerkannte Ziele,
die als Richtwerte ständige Aufgabe bleiben ... Dem muss politische
Bildung gerecht werden." [2] |
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Konsensfähige Aufgaben politischer Bildung
Was genau die Aufgaben politischer Bildung sind, bleibt im Detail
umstritten und Veränderungen unterworfen. Der folgende Textauszug
nennt trotzdem einige Aufgabenfelder, die gegenwärtig als konsensfähig
gelten können:
"1. Ausbildung und Festigung eines freiheitlich demokratischen
Wertbewusstseins,
2. Verstehen der Grundstruktur von Politik als Lösung aktueller
Probleme durch Herbeiführung von verbindlichen Entscheidungen in
strittigen gesellschaftlichen Fragen,
3. Orientierungswissen in wichtigen aktuellen Politikbereichen mit
Zukunftsbedeutung, z.B. die Demokratie und ihre Gefährdungen, das
Verhältnis von Ökonomie und Ökologie, die Zukunft der
Erwerbsgesellschaft, die Globalisierung, die Einigung Europas,
4. Erwerb gewisser Fertigkeiten wie Umgang mit Informationen, Medien
usw.
Hieraus ergeben sich unmittelbar zwei Aufgabenfelder mit
unverzichtbaren, zugeordneten Inhalten: 1. Konkretisierung der
Grundwerte ... 2. Verstehen des politischen Entscheidungsprozesses mit
den beiden Aspekten:
- Entscheidungsträger und ihre Legitimation (Parlament, Regierung,
Abstimmungen und Wahlen, Föderalismus);
- Entscheidungsinhalte und ihre Quellen: Interessen und ihre Agenten (Bürgerinitiativen,
Verbände, Parteien, Medien)." [3]
Ziele politischer Bildung
Politische Bildung will Interesse an Politik wecken und die
Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Adressaten zu mündigen
Bürgerinnen werden, indem sie selbständige politische Analyse-
und Urteilsfähigkeit zu vermitteln sucht. [4] Dazu
ist natürlich auch Grundwissen nötig. Deshalb zählt es auch zu
den Aufgaben der politischen Bildung, das "kleine Einmaleins" der
Politik zu vermitteln. Hierzu wäre etwa der Umgang mit grundlegenden
Begriffen wie Demokratie, Gewaltenteilung, Wahlen, Parteien, Frieden,
Macht etc. zu zählen.
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Aber demokratische politische Bildung bleibt bei der Vermittlung von
Grundwissen nicht stehen - sie bildet lediglich die unverzichtbare
Grundlage für die weitergehenden Ziele des Politikunterrichts.
Denn
wer sich nicht auskennt im politischen System, wer die Funktionen und
Zusammenhänge nicht durchschaut, kann auch seine Partizipationschancen
nicht nutzen, ihm fehlt die Demokratiekompetenz, er bleibt als Bürger
unmündig. Daraus ergibt sich eine Abfolge von Zielen, die aufeinander
aufbauen. |
Die ersten drei Stufen finden sich in
der einen oder anderen konkreten Ausformung in praktisch allen
Veröffentlichungen zum Thema, umstritten bleibt, ob die vierte Stufe -
politisches Engagement - ebenfalls zu den Kernzielen politischer
Bildung zu rechnen ist. Dieser Aspekt wird beispielsweise im
Zusammenhang mit dem Begriff der Bürgerleitbilder diskutiert.
[5] Es kann mit guten Gründen darauf hingewiesen
werden, dass auch "mündige" Bürgerinnen vorstellbar sind, die sich
politisch nicht engagieren.
Vermittlung von Demokratiekompetenz
Ein terminologisch alternativer Weg der Zielbestimmung politischer
Bildung stellt den Kompetenzbegriff in den Mittelpunkt. Joachim Detjen
unterscheidet drei einander ergänzende Kompetenzformen:
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"Mit der kognitiven Kompetenz ist das Erfordernis eines
gewissen Niveaus an Wissen und Lernfähigkeit gemeint, wobei sich das
Wissen auf die institutionelle Ordnung des politischen Systems, auf
funktionale Zusammenhänge innerhalb dieses Systems bis hin zu seinen
weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Abhängigkeiten bezieht. Der
Bürger soll aber auch hinsichtlich der Inhalte der je aktuellen
politischen Entscheidungen über sachlich informierte Kenntnisse
verfügen. |
Prozedurale Kompetenzen sind Kenntnisse und Fertigkeiten, die
benötigt werden, um politische Einflussmöglichkeiten und
Partizipationschancen auch tatsächlich wahrnehmen zu können. Der
Bürger muss zu diesem Zweck Kenntnisse über administrative
Zuständigkeiten und rechtliche Verfahren besitzen. Er muss über
strategische Fähigkeiten verfügen, um eigene oder als richtig erkannte
allgemeine Ziele verwirklichen zu können.
Habituelle Kompetenzen sind Einstellungen ..., die der Bürger
dem Gemeinwesen zu dessen Bestandserhaltung entgegenbringen muss ...
Moderne Demokratien sind in ihren habituellen Erwartungen besonders
anspruchsvoll. Als staatliche Gemeinwesen benötigen sie natürlich
Rechtsgehorsam, darüber hinaus aber auch Opferbereitschaft, das
Gemeinwesen gegen Bedrohungen von außen zu verteidigen. Als liberale
Gemeinwesen bedürfen sie der Fairness und der Toleranz in
weltanschaulichen Angelegenheiten. Als demokratische Gemeinwesen sind
sie angewiesen auf Partizipation, die nach Möglichkeit rational,
verantwortbar und regelmäßig sein soll. Als sozialstaatliche
Gemeinwesen kommen sie nicht ohne sozialen Gerechtigkeitssinn und
Solidarität aus." [6]
Folgerungen für diese Arbeit
Die kurze Skizze der wesentlichen Aufgaben und Ziele politischer
Bildung hat hinsichtlich dieser Arbeit, die sich mit Problemen und
Lösungsansätzen bei der Vermittlung der komplexen Themen EU und
Globalisierung beschäftigt, erstens gezeigt, dass beide Themen
zu den konsensfähigen Aufgabenfeldern politischer Bildung gezählt werden können.
Zum zweiten stellen
die allgemein anerkannten Ziele politischer Bildung, wie sie hier
überblicksartig aufgelistet wurden, einen wichtigen Orientierungsrahmen für
die Analyse der Vermittlungprobleme und die Entwicklung von
Lösungsansätzen zur Verfügung.
Insbesondere zeigt sich, dass die ausgeprägte Komplexität als
herausragendes Kennzeichen der beiden Themenkomplexe bereits Probleme
auf der ersten Stufe der oben abgebildeten "Zieltreppe" verursacht -
bei der Vermittlung des Grundwissens (bzw. bei der kognitiven
Kompetenz). Erfolgreiche Vermittlung von Grundwissen bildet aber die
Voraussetzung für die folgenden, ambitionierteren Ziele.
Lösungsansätze müssen also bereits auf dieser Stufe ansetzen und ihr
besondere Aufmerksamkeit widmen.
Es wurde aber drittens auch deutlich, dass Zielbestimmungen wie
"mündiger Bürger" über die Funktion der Bereitstellung eines
Orientierungsrahmens nicht hinausgehen und zu allgemein bleiben, um
bei der Entwicklung von Lösungsansätzen konkrete Hilfestellungen
leisten zu können. Dafür müssen sie operationalisiert werden. Diese
Scharnierfunktion erfüllen die didaktischen Prinzipien, denen eine
gesonderte Seite im Rahmen dieses Abschnitts zur politischen Bildung
gewidmet ist (» didaktische
Prinzipien).
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Anmerkungen:
[1] |
Vor
genau dieser Herausforderung standen mehrere Übersetzerinnen und
der Autor, als es im Rahmen des internationalen politischen
Bildungsprogramms D@dalos darum ging, ein Online-Lehrbuch zu den
Grundlagen politischer Bildung von der deutschen Masterversion in
mehrere Sprachen Südosteuropas zu übersetzen. Die besten
Übersetzungen des Attributs "mündig" hätten rückübersetzt etwas
wie "volljährig" oder "zufrieden" bedeutet, so dass letztlich nur
der Verzicht auf den Begriff als Lösung akzeptabel war. Ähnliche
Probleme tauchen übrigens u.a. auch beim Begriff "politische
Bildung" auf.
Vgl. in diesem Zusammenhang mehrere Beiträge in:
Osteuropa 8/2005,
Europa bilden. Politische Bildung zwischen Ost und West.
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[2] |
Bernhard Sutor,
Theoretische Grundlagen; in: Wolfgang W. Mickel (Hg.), Handbuch
zur politischen Bildung; Bundeszentrale für politische Bildung
Schriftenreihe Band 358, Bonn 1999, S. 66-67.
Umfassend zur Diskussion um Werte in der politischen Bildung:
Gotthard Breit/ Siegfried
Schiele (Hg.), Werte in der politischen Bildung,
Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2000.
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[3] |
Klaus Rothe,
Aufgabenfelder; in: Wolfgang W. Mickel (Hg.), Handbuch zur
politischen Bildung; Bundeszentrale für politische Bildung,
Schriftenreihe Band 358, Bonn 1999, S. 97.
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[4] |
Vgl.
stellvertretend für zahlreiche weitere Publikationen den überaus
nützlichen kurzen Band:
Paul Ackermann u.a., Politikdidaktik kurzgefasst.
Planungsfragen für den Politikunterricht, Bundeszentrale für
politische Bildung Schriftenreihe Band 326, Bonn 1994. Dort steht
zu lesen: "Ein fundamentales Lernziel des Politikunterrichts ist,
bei Schülerinnen und Schülern Verständnis für Politik zu wecken
und Einsichten in politische Zusammenhänge zu ermöglichen" (S.
17).
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[5] |
Dabei
werden vier Bürgertypen unterschieden: (1) Die politisch
Desinteressierten, (2) die informierten und urteilsfähigen
Zuschauer, (3) die interventionsfähigen Bürger und (4) die
Aktivbürger. Peter Massing führt aus: "Die Aktivbürger/innen
scheinen ... für die schulische politische Bildung ein eher
utopisches Ziel zu sein" (Peter
Massing, Demokratietheoretische Grundlagen der politischen
Bildung im Zeichen der Globalisierung; in: Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges (Hg.), Politische Bildung und
Globalisierung, Opladen 2002, S. 36).
Wichtige Veröffentlichung im Rahmen dieser Diskussion sind:
Paul Ackermann, Die
Bürgerrolle in der Demokratie als Bezugsrahmen für die politische
Bildung; in: Gotthard Breit/Siegfried Schiele (Hg.),
Handlungsorientierung im Politikunterricht, Schwalbach/Ts. 1998,
S. 13-34.
Joachim Detjen, "Der
demokratiekompetente Bürger" - politikwissenschaftliche
Anmerkungen zu einer normativen Leitvorstellung der politischen
Bildung, Wolnzach 1999.
Joachim Detjen,
Bürgerleitbilder in der politischen Bildung; in: Gotthard Breit/Peter
Massing (Hg.), Bürgergesellschaft, Zivilgesellschaft, Dritter
Sektor, Schwalbach/Ts. 2000, S. 19-38.
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[6] |
Joachim Detjen, Die
Demokratiekompetenz der Bürger. Herausforderung für die politische
Bildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 25/2000, S. 12-13,
Online-Version.
Peter Massing unterscheidet dagegen (1) Sachkompetenz, (2)
Methodenkompetenz sowie (3) Sozial- und Selbstkompetenz (Peter
Massing, Demokratietheoretische Grundlagen der politischen
Bildung im Zeichen der Globalisierung; in: Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges (Hg.), Politische Bildung und
Globalisierung, Opladen 2002, S. 37-39).
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