Dissertation   Wie kann man komplexe Themen wie Globalisierung oder europäische Integration vermitteln?

 

 

(» Ragnar Müller)

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 Aufgaben und Ziele politischer Bildung

Ziel politischer Bildung ist die mündige Bürgerin bzw. der mündige Bürger. Dass dies in praktisch jeder Publikation zum Thema zu lesen ist, darf nicht über die inhaltliche Unbestimmtheit des Begriffs hinwegtäuschen, die sich zum Beispiel dann schmerzhaft bemerkbar macht, wenn es darum geht, ihn in andere Sprachen zu übersetzen. [1] Das folgende Schaubild listet weitere, häufig genannte Ziele politischer Bildung auf, welche die Kurzformel vom "mündigen Bürger" mit Leben füllen.

Grundlegend gilt: "Politik und Bildung und dementsprechend auch politische Bildung sind Formen intentionalen Handelns; sie orientieren sich an Zielen bzw. Werten ... Der moderne Staat kann die Frage nicht beantworten, welches das höchste Gut in einem pluralistischen Werteensemble sei. Wir können uns zwar darauf einigen, dass er schlimme Übel verhindern soll, und als Kultur- und Sozialstaat muss er seine Tätigkeit auch positiv an Werten orientieren. Aber wir können Politik nicht verstehen als 'Verwirklichung' oberster Werte, sondern als Regelung von Konflikten und als Ringen um die jeweils bessere Ordnung im Blick auf allgemein anerkannte Ziele, die als Richtwerte ständige Aufgabe bleiben ... Dem muss politische Bildung gerecht werden." [2]

Didaktischer Forschungsstand:

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 Konsensfähige Aufgaben politischer Bildung

Was genau die Aufgaben politischer Bildung sind, bleibt im Detail umstritten und Veränderungen unterworfen. Der folgende Textauszug nennt trotzdem einige Aufgabenfelder, die gegenwärtig als konsensfähig gelten können:

"1. Ausbildung und Festigung eines freiheitlich demokratischen Wertbewusstseins,
2. Verstehen der Grundstruktur von Politik als Lösung aktueller Probleme durch Herbeiführung von verbindlichen Entscheidungen in strittigen gesellschaftlichen Fragen,
3. Orientierungswissen in wichtigen aktuellen Politikbereichen mit Zukunftsbedeutung, z.B. die Demokratie und ihre Gefährdungen, das Verhältnis von Ökonomie und Ökologie, die Zukunft der Erwerbsgesellschaft, die Globalisierung, die Einigung Europas,
4. Erwerb gewisser Fertigkeiten wie Umgang mit Informationen, Medien usw.
Hieraus ergeben sich unmittelbar zwei Aufgabenfelder mit unverzichtbaren, zugeordneten Inhalten: 1. Konkretisierung der Grundwerte ... 2. Verstehen des politischen Entscheidungsprozesses mit den beiden Aspekten:
- Entscheidungsträger und ihre Legitimation (Parlament, Regierung, Abstimmungen und Wahlen, Föderalismus);
- Entscheidungsinhalte und ihre Quellen: Interessen und ihre Agenten (Bürgerinitiativen, Verbände, Parteien, Medien)." [3]

 Ziele politischer Bildung

Politische Bildung will Interesse an Politik wecken und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Adressaten zu mündigen Bürgerinnen werden, indem sie selbständige politische Analyse- und Urteilsfähigkeit zu vermitteln sucht. [4] Dazu ist natürlich auch Grundwissen nötig. Deshalb zählt es auch zu den Aufgaben der politischen Bildung, das "kleine Einmaleins" der Politik zu vermitteln. Hierzu wäre etwa der Umgang mit grundlegenden Begriffen wie Demokratie, Gewaltenteilung, Wahlen, Parteien, Frieden, Macht etc. zu zählen.

Aber demokratische politische Bildung bleibt bei der Vermittlung von Grundwissen nicht stehen - sie bildet lediglich die unverzichtbare Grundlage für die weitergehenden Ziele des Politikunterrichts.

Denn wer sich nicht auskennt im politischen System, wer die Funktionen und Zusammenhänge nicht durchschaut, kann auch seine Partizipationschancen nicht nutzen, ihm fehlt die Demokratiekompetenz, er bleibt als Bürger unmündig. Daraus ergibt sich eine Abfolge von Zielen, die aufeinander aufbauen.

Die ersten drei Stufen finden sich in der einen oder anderen konkreten Ausformung in praktisch allen Veröffentlichungen zum Thema, umstritten bleibt, ob die vierte Stufe - politisches Engagement - ebenfalls zu den Kernzielen politischer Bildung zu rechnen ist. Dieser Aspekt wird beispielsweise im Zusammenhang mit dem Begriff der Bürgerleitbilder diskutiert. [5] Es kann mit guten Gründen darauf hingewiesen werden, dass auch "mündige" Bürgerinnen vorstellbar sind, die sich politisch nicht engagieren.

 Vermittlung von Demokratiekompetenz

Ein terminologisch alternativer Weg der Zielbestimmung politischer Bildung stellt den Kompetenzbegriff in den Mittelpunkt. Joachim Detjen unterscheidet drei einander ergänzende Kompetenzformen:

"Mit der kognitiven Kompetenz ist das Erfordernis eines gewissen Niveaus an Wissen und Lernfähigkeit gemeint, wobei sich das Wissen auf die institutionelle Ordnung des politischen Systems, auf funktionale Zusammenhänge innerhalb dieses Systems bis hin zu seinen weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Abhängigkeiten bezieht. Der Bürger soll aber auch hinsichtlich der Inhalte der je aktuellen politischen Entscheidungen über sachlich informierte Kenntnisse verfügen.

Prozedurale Kompetenzen sind Kenntnisse und Fertigkeiten, die benötigt werden, um politische Einflussmöglichkeiten und Partizipationschancen auch tatsächlich wahrnehmen zu können. Der Bürger muss zu diesem Zweck Kenntnisse über administrative Zuständigkeiten und rechtliche Verfahren besitzen. Er muss über strategische Fähigkeiten verfügen, um eigene oder als richtig erkannte allgemeine Ziele verwirklichen zu können.

Habituelle Kompetenzen sind Einstellungen ..., die der Bürger dem Gemeinwesen zu dessen Bestandserhaltung entgegenbringen muss ... Moderne Demokratien sind in ihren habituellen Erwartungen besonders anspruchsvoll. Als staatliche Gemeinwesen benötigen sie natürlich Rechtsgehorsam, darüber hinaus aber auch Opferbereitschaft, das Gemeinwesen gegen Bedrohungen von außen zu verteidigen. Als liberale Gemeinwesen bedürfen sie der Fairness und der Toleranz in weltanschaulichen Angelegenheiten. Als demokratische Gemeinwesen sind sie angewiesen auf Partizipation, die nach Möglichkeit rational, verantwortbar und regelmäßig sein soll. Als sozialstaatliche Gemeinwesen kommen sie nicht ohne sozialen Gerechtigkeitssinn und Solidarität aus." [6]

 Folgerungen für diese Arbeit

Die kurze Skizze der wesentlichen Aufgaben und Ziele politischer Bildung hat hinsichtlich dieser Arbeit, die sich mit Problemen und Lösungsansätzen bei der Vermittlung der komplexen Themen EU und Globalisierung beschäftigt, erstens gezeigt, dass beide Themen zu den konsensfähigen Aufgabenfeldern politischer Bildung gezählt werden können.

Zum zweiten stellen die allgemein anerkannten Ziele politischer Bildung, wie sie hier überblicksartig aufgelistet wurden, einen wichtigen Orientierungsrahmen für die Analyse der Vermittlungprobleme und die Entwicklung von Lösungsansätzen zur Verfügung. Insbesondere zeigt sich, dass die ausgeprägte Komplexität als herausragendes Kennzeichen der beiden Themenkomplexe bereits Probleme auf der ersten Stufe der oben abgebildeten "Zieltreppe" verursacht - bei der Vermittlung des Grundwissens (bzw. bei der kognitiven Kompetenz). Erfolgreiche Vermittlung von Grundwissen bildet aber die Voraussetzung für die folgenden, ambitionierteren Ziele. Lösungsansätze müssen also bereits auf dieser Stufe ansetzen und ihr besondere Aufmerksamkeit widmen.

Es wurde aber drittens auch deutlich, dass Zielbestimmungen wie "mündiger Bürger" über die Funktion der Bereitstellung eines Orientierungsrahmens nicht hinausgehen und zu allgemein bleiben, um bei der Entwicklung von Lösungsansätzen konkrete Hilfestellungen leisten zu können. Dafür müssen sie operationalisiert werden. Diese Scharnierfunktion erfüllen die didaktischen Prinzipien, denen eine gesonderte Seite im Rahmen dieses Abschnitts zur politischen Bildung gewidmet ist (» didaktische Prinzipien).

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Anmerkungen:

[1]

Vor genau dieser Herausforderung standen mehrere Übersetzerinnen und der Autor, als es im Rahmen des internationalen politischen Bildungsprogramms D@dalos darum ging, ein Online-Lehrbuch zu den Grundlagen politischer Bildung von der deutschen Masterversion in mehrere Sprachen Südosteuropas zu übersetzen. Die besten Übersetzungen des Attributs "mündig" hätten rückübersetzt etwas wie "volljährig" oder "zufrieden" bedeutet, so dass letztlich nur der Verzicht auf den Begriff als Lösung akzeptabel war. Ähnliche Probleme tauchen übrigens u.a. auch beim Begriff "politische Bildung" auf.
Vgl. in diesem Zusammenhang mehrere Beiträge in: Osteuropa 8/2005, Europa bilden. Politische Bildung zwischen Ost und West.
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[2]

Bernhard Sutor, Theoretische Grundlagen; in: Wolfgang W. Mickel (Hg.), Handbuch zur politischen Bildung; Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Band 358, Bonn 1999, S. 66-67.
Umfassend zur Diskussion um Werte in der politischen Bildung: Gotthard Breit/ Siegfried Schiele (Hg.), Werte in der politischen Bildung, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2000.
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[3]

Klaus Rothe, Aufgabenfelder; in: Wolfgang W. Mickel (Hg.), Handbuch zur politischen Bildung; Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Band 358, Bonn 1999, S. 97.
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[4]

Vgl. stellvertretend für zahlreiche weitere Publikationen den überaus nützlichen kurzen Band: Paul Ackermann u.a., Politikdidaktik kurzgefasst. Planungsfragen für den Politikunterricht, Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Band 326, Bonn 1994. Dort steht zu lesen: "Ein fundamentales Lernziel des Politikunterrichts ist, bei Schülerinnen und Schülern Verständnis für Politik zu wecken und Einsichten in politische Zusammenhänge zu ermöglichen" (S. 17).
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[5]

Dabei werden vier Bürgertypen unterschieden: (1) Die politisch Desinteressierten, (2) die informierten und urteilsfähigen Zuschauer, (3) die interventionsfähigen Bürger und (4) die Aktivbürger. Peter Massing führt aus: "Die Aktivbürger/innen scheinen ... für die schulische politische Bildung ein eher utopisches Ziel zu sein" (Peter Massing, Demokratietheoretische Grundlagen der politischen Bildung im Zeichen der Globalisierung; in: Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges (Hg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 36).
Wichtige Veröffentlichung im Rahmen dieser Diskussion sind:
Paul Ackermann, Die Bürgerrolle in der Demokratie als Bezugsrahmen für die politische Bildung; in: Gotthard Breit/Siegfried Schiele (Hg.), Handlungsorientierung im Politikunterricht, Schwalbach/Ts. 1998, S. 13-34.
Joachim Detjen, "Der demokratiekompetente Bürger" - politikwissenschaftliche Anmerkungen zu einer normativen Leitvorstellung der politischen Bildung, Wolnzach 1999.
Joachim Detjen, Bürgerleitbilder in der politischen Bildung; in: Gotthard Breit/Peter Massing (Hg.), Bürgergesellschaft, Zivilgesellschaft, Dritter Sektor, Schwalbach/Ts. 2000, S. 19-38.
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[6]

Joachim Detjen, Die Demokratiekompetenz der Bürger. Herausforderung für die politische Bildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 25/2000, S. 12-13, Online-Version.
Peter Massing unterscheidet dagegen (1) Sachkompetenz, (2) Methodenkompetenz sowie (3) Sozial- und Selbstkompetenz (Peter Massing, Demokratietheoretische Grundlagen der politischen Bildung im Zeichen der Globalisierung; in: Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges (Hg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 37-39).
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